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Bjørn Melhus & Thomas Rentmeister: SCHNEE VON GESTERN

Eröffnung am 19. November 2017 um 12 Uhr
Ausstellungsdauer: 19.11.–22.12.2017

 

Begrüßung: Dr. Nina Mika-Helfmeier (Leiterin des KuK Monschau)
Einführung: Prof. Dr. Stephan Berg (Kunstmuseum Bonn)
Kuratiert von Tanja Wessolowski und Nina Mika-Helfmeier.
Die Künstler sind anwesend.

Winter, Weihnachten und Fernsehschnee: Die Keimzelle der dialogischen Ausstellung von Thomas Rentmeister und Bjørn Melhus ist das weiße Rauschen im analogen Äther. Nach Sendeschluss eröffnete dieser in der Vergangenheit einen imaginären Raum der Stille, der Kontemplation, und beflügelte viele Geister. Mittlerweile aber, in Zeiten des digitalen Spektakels, ist er gänzlich zum „Schnee von gestern“ geworden. Obgleich sich die skulpturalen Installationen von Thomas Rentmeister und die narrativ-medialen Inszenierungen von Bjørn Melhus auf den ersten Blick konträr gegenüberzustehen scheinen, wagt die Ausstellung mit der Konfrontation den Versuch einer gemeinsamen poetischen Klammer, die nicht nur den „Schnee von gestern“, sondern auch die Gegenwart hinterfragt.


 

Fernsehschnee als Tor zu anderen Welten und Zeiten

Zwei Berliner Künstler stellen im winterlichen Monschau den aktuellsten „Schnee von gestern“ aus

Melhues Rentmeister(Foto: Peter Stollenwerk)

Wie ist es zu dieser ungewöhnlichen Ausstellung gekommen – bzw. hat Sie beide daran gereizt, Ihre unterschiedlichen Ansätze und Sichtweisen zu vereinen?

Thomas Rentmeister: Ich selber hatte bereits an zwei Gruppenausstellungen im KuK teilgenommen und 2014 mit meiner Klasse der HBK Braunschweig hier die wunderbare Ausstellung Allianzen und Affären ausgerichtet. Der Kontakt zu Nina Mika-Helfmeier war also da und von ihr stammt auch die Idee dieser Doppelausstellung. Obwohl ich mit Bjørn schon lange befreundet bin, erschien mir die Kombination anfangs etwas ungewöhnlich, da sich unsere Werkansätze doch erheblich unterscheiden.
Bjørn Melhus: Anfangs wusste ich noch nicht, wie ich mir das vorstellen sollte, aber das hat sich mit den ersten Gesprächen schnell geändert. Und da ist auch der Titel entstanden. Der kam ja letztlich von uns, als wir überlegt haben, wie wir uns da finden können. Rückblickend hat sich daraus eine sehr konstruktive Dynamik ergeben. Einzelausstellungen haben einen eigenen Reiz, aber davon hatten wir beide schon viele. Das hier ist etwas völlig anderes.

Wie kann ein interessierter Laie sich vorstellen, wie Sie als Künstler Arbeiten für ein solches Projekt konzipieren und realisieren?
Melhus: Das früheste Video in de Ausstellung ist bereits 1991 entstanden. Daher wäre es also falsch, davon auszugehen, dass wir alles komplett neu machen. Wir schauen, was zum Konzept passt und wie wir unsere Werke in Dialog bringen können. Andererseits entstehen speziell für die Ausstellung auch neue Exponate, die überhaupt erst aus dem Projekt gewachsen sind, weil die Idee dazu inspiriert hat.
Rentmeister: Ich habe zum Beispiel den kleinen weißen Fernseher aus Weit Weit Weg als Keramik nachgebaut – ungefähr in der gleichen Größe und mit ähnlichen (Glasur-)Farbtönen wie das Original. In seiner wurstig-expressiven, kunsthandwerklichen Machart ist er jedoch auf den ersten Blick ästhetisch weit, weit entfernt von Bjørns filmischem Werk, aber als Reenactment auf der Ebene des schwarzen Humors wiederum sehr nahe dran.
Bjørn und ich werden einen der Ausstellungsräume als spießiges Fernsehwohnzimmer gestalten, denn wir haben ja beide noch während der Blütezeit des analogen Fernsehens in einem solchen Raum unsere mediale Sozialisierung erfahren: mit Chips, Am laufenden Band, Tagesschau, Hitparaden, Fußballländerspielen und am Ende mit Testbild und Fernsehschnee. Wenn man draußen spazieren ging, flackerte es aus allen Fenstern simultan im gleichen Rhythmus, denn es gab ja nur zwei oder drei Programme.
Bjørn Melhus: Und das Flackern hat sich heute tatsächlich geändert. Eigens für die Ausstellung ist von mir auch eine neue Installation mit sogenannten „TV-Simulatoren“ entstanden, die nun sprichwörtlich im Eimer sind und dabei in großer Menge wieder eine Art Rauschen erzeugen.

Welche ganz persönlichen Assoziationen hatten Sie denn mit dem Thema Schnee von gestern?
Rentmeister: Der Fernsehschnee als physikalisch-konkrete Ausprägung des eigentlich für die Narration bestimmten Mediums Bewegtbild ist für mich die Brücke in die Welt der Gegenstände, für die ich mich interessiere – zum Beispiel einem holzverkleideten Röhrenfernseher inmitten des weißen Rauschens von Raufasertapete. Dort fängt meine Art von Erzählung an: mein kleines, mit viel zu vielen Möbeln vollgestopftes Elternhaus, (in dem ich abgesehen davon eine sehr glückliche Kindheit verbracht habe), hat die psychologische Wirkungsweise meiner Skulpturen und Installationen, weitgehend mitgeprägt. Wer würde sonst schon auf eine solch pathologische Idee kommen, Gummiprofile von Kühlschränken mit Penatencreme zu verfüllen.
Melhus: Mein 39 Minuten langer Film Weit Weit Weg von 1995 hat schon stark autobiografische Züge. Dort ist das von Thomas angesprochene zeitgleiche Fernsehflackern in den Fenstern auch zu sehen, wie ich es selbst früher erlebt habe. Doch die Hauptfigur entflieht über den Fernseher aus ihrem beklemmenden Jugendzimmer in eine andere Welt, die hinter der Mattscheibe liegt. Hier ist der Fernseher im Sinne der „Tele-Vision“ weit mehr als nur eine Requisite.

Stehen Ihre Arbeiten, die einen physisch und analog, die anderen nicht fassbar und digital, sich als ein solcher Kontrast gegenüber? Oder finden sie sich?
Melhus: Ich denke sie finden sich und fangen an, miteinander zu sprechen. Viele der Filme sind sogar sehr analog und fassbar, da sie ja auch schon über 20 Jahre alt sind. Und viele der Bildinhalte sind auch sehr haptisch, wobei es in einigen der Erzählungen durchaus um den Übergang zur Welt des Äthers geht. Aber auch da ist es eben zum großen Teil noch der analoge Äther und das Rauschen, das es ja heute kaum noch gibt.

Was erwartet die Besucher also konkret in Ihrer Ausstellung?
Melhus: Ganz allgemein haben wir uns, wie sich aus dem Vorangegangenen erschließt, intensiv mit Weißem Rauschen, Schnee von gestern und den daraus entstehenden Assoziationen beschäftigt und Videos, Installationen, Skulpturen narrativ zusammengebracht.
Rentmeister: Die meisten Arbeiten sind schon fertig, es gibt aber noch offene Stellen in der Ausstellungsplanung und das ist gut so, sonst wäre es langweilig. Nina Mika-Helfmeier ist da übrigens großartig und wunderbar entspannt: sie hat ein großes Herz für Künstler und vertraut auf unsere Professionalität.

Zusatzinfos: Was, wann, wo?
Monschau mit seiner „fast unwirklichen Idylle“, wie Bjørn Melhus es beschreibt, wird zur Kulisse für die Ausstellung Schnee von gestern: Sie eröffnet am Sonntag, 19. November, 12 Uhr, im Kunst- und Kulturzentrum (KuK) der StädteRegion Aachen an der Austraße 9. Die Nostalgie-Architektur und Adventsstimmung Monschaus steht provokant im Kontrast zur Ausstellung. Die Auseinandersetzung der in Berlin lebenden Künstler Bjørn Melhus und Thomas Rentmeister mit Vergangenem ist Wurzel der Impulse, die sie mit Installationen, Videokunst und Skulpturen geben. Während draußen also Weihnachtslieder zu hören sind und LEDs blinken, lädt die Ausstellung auf zwei Etagen innen zum Entschleunigen ein – und zum Eintauchen in den titelgebenden Schnee von gestern, sei es im Sendepauserauschen, im stilisierten Konsumrausch oder in der Raufasertapete, die so manchen durch die Kindheit begleitet hat. Wandel und Veränderung, die Bewertung dessen und die Gefühle, die das auslöst, sind auf mehreren narrativen Ebenen Inhalt der Schau, die bis zum 22. Dezember zu den üblichen Öffnungszeiten bei freiem Eintritt zu sehen ist. Nähere Informationen unter Telefon 02472/803194

Das Interview führte Maria Pakura.


 

Die Zwei von der Charmeschule

Thomas Rentmeister und Bjørn Melhus eröffnen ihre Ausstellung SCHNEE VON GESTERN im KuK

Vergangenen Sonntag in Monschau:
Der Weihnachtsmarkt wird bald eröffnet. Im sanften Braun der bereits aufgebauten Buden weht vorweihnachtlicher Adventszauber durch die Lüfte. Die fröhliche Schar der Touristen in strapazierfähiger Outdoor-Bekleidung genießt den Glühwein und die großzügig gereichten Köstlichkeiten der Monschauer Willkommenskultur.

Aber was ist das? Das fröhlichste Lachen, die überschwänglichsten Vibrations vergnüglicher Ausgelassenheit dringen diesmal nicht aus den Weinstuben und Schnitzelpalästen, sondern von der Vernissage im Kunst- und Kulturzentrum der Städteregion Aachen, unter Kennern liebevoll „KuK“ genannt.

Wie konnte das geschehen? Ist dieser Ort bedeutsamer Hochkultur nicht der ernsten Betrachtung und des gedenkentiefen Verweilens in den labyrinthischen Gedankengebäuden zeitgenössischer Künstler gewidmet?
Ohne jeden Zweifel, ja! Aber das heißt ja nicht, dass dem schallenden Gelächter, der heiteren Betrachtung des Absurden zugeneigte Künstler irgendwie doof und deshalb im KuK fehl am Platze wären!
Keineswegs – und schon gar nicht beim Virtuosen der sich selbst belächelnden Skulptur, Thomas Rentmeister, und ebenso wenig beim Master of Ceremony des autistisch, regressiv die Multiversen der Persönlichkeit erforschenden Videokünstlers Bjørn Melhus.
Diese erste gemeinsame Ausstellung der Künstler wirkt so sehr aus einem Guss, dass man vermeint, die beiden hätten schon im Sandkasten gemeinsam ästhetische Konzepte entworfen.

Während sich die Plastiken von Rentmeister auf vielfältige Weise dem Phänomen Schnee widmen, findet der Schnee in Melhus’ Videos in erster Linie als abstrakt flackernde Bildstörung statt. Ein Thema, das Rentmeister wiederum in seiner notorisch locker, flockigen Weise aufgreift, um auf einem hinreißenden Triptychon den Fernsehschnee als großformatige Zeichnung wiederzugeben.

Neben den scheinbar naturalistisch gestalteten Schneemännern, Schneeverwehungen und verlorengegangener Mohrrübennasen von Thomas Rentmeister, gestaltet Bjørn Melhus das winterliche Leitmotiv weniger explizit in einer der märchenhaftesten Arbeit der Ausstellung: Der geheimnisvoll von innen irrlichternden Batterie von 48 schneeweißen Plastikeimern, die in einer frostig-kühlen Palette von Blau Einblick in das unergründlich kalte Herz einer isländischen Eisprinzessin zu gewähren scheinen.

Märchenhaft sind Melhus’ Videos alle irgendwie. Ganz besonders natürlich seine ergreifend komische Hymne an die kleine „We're not in Kansas anymore“-Dorothy Gale in „Weit, weit, weg“ einem Hauptwerk der Ausstellung.
Aber auch die generationsübergreifende Star Treck-Familie in „Captain“ trägt märchenhafte Züge. Da ist es um so hilfreicher, dass der Eiskomet am Ende des Universums offensichtlich aus Pappmaché ist und so der verpeilten Familienkonferenz zusätzliche Künstlichkeit verleiht. Das melancholische Verlorenheitsgefühl seiner Figuren durch ironische Brechung ihrer großen Gefühle gehört zu den beeindruckendsten Kunstkniffen von Melhus.
Diese in absurde Labyrinthe geworfenen Dorothys und die anderen Alter Egos des Künstlers sind bei aller Verlorenheit auch sehr komisch und wecken beim Betrachter fürsorgliche Elterninstinkte.

So wird dem Vernissage-Gast ganz leicht ums Herz und er begibt sich von inneren Heiterkeit ergriffen ins Getümmel des Monschauer Weihnachtsmarktes, um dort, ohne es groß zu bemerken, glückstrunken, weit, weit weg in ein Land des Lächelns der Kunst nd des Humors zu entschweben.

(Gabor Baksay)


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