Logo FotografieForum mobil

  • News
  • Vom Fotomodell zur Kriegsfotografin

2 LeeMillerArchives

Vom Fotomodell zur Kriegsfotografin

Elizabeth „Lee“ Miller wächst in Poughkeepsie, New York, auf. Schon früh steht sie ihrem Vater, einem passionierten Fotografen, Model. Von ihm lernt sie erste technische und künstlerische Grundlagen der Fotografie. Ihre Kindheit und Jugend sind von einem sexuellen Missbrauch (1914) geprägt, nach dem sie an Gonorrhoe erkrankt. 1927 entscheidet ein schicksalhaftes Ereignis ihr weiteres Leben: Condé Montrose Nast, der Herausgeber der Zeitschriften Vanity Fair und Vogue, bewahrt sie vor einem Verkehrsunfall und ist von ihrer anmutigen Erscheinung so fasziniert, dass er sie als Fotomodell engagiert. Es folgt die Zusammenarbeit mit berühmten Fotografen wie Edward Steichen, George Hoyningen-Huene und Arnold Genthe. Doch die rastlose Miller sucht nach einer neuen Herausforderung und möchte mehr über Kunst und Fotografie lernen. Es zieht sie nach Paris zu dem surrealistischen Fotografen Man Ray. Als seine Muse, Assistentin und Geliebte entsteht eine kurze, symbiotische Beziehung zu ihm, die darin mündet, dass die freiheitsliebende Miller ihr eigenes Fotostudio in Paris eröffnet. Man Ray bleibt auch nach ihrer Trennung ein guter Freund, gemeinsam entwickeln sie Techniken wie die „Solarisation“, an der die junge Künstlerin maßgeblich beteiligt ist. In den Pariser Jahren entstehen zahlreiche Porträts von Künstlern und Freunden sowie Modeaufnahmen. Lee Millers Leidenschaft bleibt aber die surrealistische Fotografie. 1932 kehrt sie nach New York zurück und eröffnet dort sehr erfolgreich ein neues Fotostudio.

Nach einer kurzen Ehe mit dem ägyptischen Geschäftsmann Aziz Eloui Bey zieht Lee Miller 1939 mit dem surrealistischen Maler Roland Penrose, der später ihr Ehemann wird, nach London. Als Penrose in den Krieg eingezogen wird, ermuntert sie der Life-Fotograf David E. Scherman, sich als Kriegsfotografin bei den amerikanischen Truppen zu bewerben. Sie erhält als eine von vier Frauen eine Akkreditierung, die US-Truppen zu begleiten. Ab 1944 erscheinen regelmäßig ihre fotojournalistischen Beiträge in der amerikanischen und der britischen Vogue.

Akribisch dokumentiert Miller das Kriegsgeschehen, sie ist mittendrin. Über die Fotos, die sie dort macht, sagt sie, es handle sich nicht um künstlerische Fotografie, sondern sie habe vielmehr einen dokumentarischen Anspruch. Ungeschönt zeigt sie in ihren Reportagen der Welt auf der anderen Seite des Atlantiks, was der Krieg in Europa bedeutete und wie die Menschen nach der Befreiung durch die alliierten Truppen zu einer Normalität zurückzukehren versuchen. Dabei ist augenfällig, wie stark sich die Motive, die Miller auf ihrem Weg durch Europa festhält, unterscheiden: Nach der Befreiung von Paris trifft sie alte Freunde wie Picasso, dessen Erleichterung und Freude über das Ende der Besatzung deutlich erkennbar ist. Man sitzt schon wieder in Straßencafés und Miller kann für die Vogue einige Modeaufnahmen machen, auch wenn es noch keinen Strom gab und auf Kohleöfen auf den schmalen Balkonen gekocht wurde. Einschusslöcher in Gebäuden und Scheiben, Stacheldrahtbarrikaden und Militärfahrzeuge zeugen noch von der deutschen Besatzung und vom Kampf um Paris, doch so langsam finden die Menschen wieder zu einem normalen Leben zurück. Ganz im Gegensatz dazu stehen die Fotografien, die Lee Miller etwas später im stark zerstörten Deutschland und im Elsass macht: Kirchtürme ragen über Trümmerhaufen empor, Menschen stehen Schlange für etwas zu Essen oder Zigaretten. Einige versuchen zu retten, was noch zu retten ist, andere versuchen, einfach irgendwie weiter zu (über-)leben.

Als Lee Miller mit den amerikanischen Truppen schließlich in München ankommt, ist sie mit David E. Scherman eine der Ersten, die die Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald fotografisch dokumentieren. Die Bilder, die sie dort und auf ihrem weiteren Weg sieht, beeinflussen ihr Leben nachhaltig: ausgehungerte Menschen, Leichenberge, verwundete und sterbende Kinder in Krankenhäusern. Daneben dokumentiert sie den Tod treuer Nazianhänger, die sich lieber selbst vergiften, als den Alliierten in die Hände zu fallen, sowie die Privaträume von Adolf Hitlers in München. Zum ersten Mal seit Wochen finden Miller und die Soldaten in Hitlers Wohnung ein Badezimmer mit fließendem, warmem Wasser vor. Ein für sie unfassbarer Luxus nach all dem zuvor Erlebten. Sie nehmen ein Bad, um sich in Hitlers Badewanne den Schmutz der letzten Wochen von der Haut zu waschen. Ihre dreckigen Stiefel vor der Badewanne tragen noch den Staub des Konzentrationslagers Dachau.

"Ich bitte Dich inständig, mir zu glauben. Normalerweise fotografiere ich keine Gräuel. Aber glaube mir, jede Stadt, jede Region ist voll davon. Ich hoffe, Vogue ist bereit, diese Bilder zu drucken“, schreibt Lee Miller in einem Brief, den sie mit ihren Fotografien aus den Konzentrationslagern an Audrey Withers bei der amerikanischen Vogue sendet. Der Artikel, der daraufhin erscheint, trägt die Überschrift „Believe it!“ [„Glaube es!“], denn schon Miller selbst fiel es schwer, das Gesehene als Realität zu begreifen. Wie die Menschen, die ihr in Deutschland begegnet sind und die in einem so malerischen Land leben, so grausam anderen Menschen gegenüber hatten sein können, ist für Miller ein unverständlicher Kontrast: „Deutschland ist ein schönes Land – mit Dörfern wie Juwelen und zerbombten Stadtruinen […] Es gibt blühende Landschaften und schöne Aussichten; auf jedem Hügel thront ein Schloss [...], die Kinder haben Stelzen, Murmeln, Kreisel und Reifen und spielen mit Puppen. Mütter nähen, putzen und backen, Bauern pflügen und eggen; alles wie bei richtigen Menschen […].“ Doch für Miller, die den Krieg von seiner dunkelsten Seite hautnah erlebt hat, sind alle überlebenden Deutschen, die nicht im Gefängnis oder Konzentrationslager sind, „der Feind“ und unmenschlich.

Nach Millers Rückkehr nach England 1946 entscheidet sie sich, nicht mehr beruflich zu fotografieren. Nach all dem, was sie gesehen hat, erscheint ihr alles andere bedeutungslos. 1947 heiratet sie Roland Penrose und bekommt einen Sohn. Die Negative ihrer Fotos verbannt sie auf den Dachboden. Doch die unverarbeiteten Bilder in ihrem Kopf führen schließlich zu einer lebenslangen Depression.

Foto links: Lee Miller, kleiner, müder Junge (Raymond Melchers 7 Jahre alt) auf einen Transport wartend, Iweschtgaass, Bech, Luxemburg, 1945 © Lee Miller Archives England 2022. All rights reserved. www.leemiller.co.uk
Foto rechts: Foto: David E. Scherman, Lee Miller, Vogue Studio, London, England, 1943 © Lee Miller Archives England 2022. All rights reserved. www.leemiller.co.uk


Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.